Up: Anfang Previous: Zurück

Erlebnis im Museum

Nachdem wir einige Tage zuvor die Gabriele-Münter-Retrospektive im Lenbachhaus in München besucht hatten, wollte Claudia jetzt auch unbedingt nach Murnau fahren, um dort das Haus dieser fantastischen Künstlerin zu sehen, wahrscheinlich weil sie glaubte, dort irgend etwas besonderes empfinden zu können, das eben nur in den Häusern oder an den Aufenthaltsorten solch berühmter Menschen sozusagen in der Luft liegt.

Wieviele Leute sind beispielsweise schon nichts Böses ahnend nach Weimar ins Goethe-Museum gepilgert, hatten dort eine Vision in der der große Meister ihnen erschien, wohlwollend und milde lächelnd auf die Schulter klopfte und sprach: ,,Ich weiß, daß Du seit Jahren einige Gedichte in Deinem Schreibtisch liegen hast und muß Dir sagen, es wäre wirklich eine schwere Sünde sie den Augen der Weltöffentlichkeit vorzuenthalten.`` Durch den größten aller Dichter so ermutigt, mußten sie natürlich ihre Werke veröffentlichen und wurden innerhalb kurzer Zeit weltberühmt, wie es der Dichterfürst vorausgeahnt hatte.

Ist es nicht schon vielen von uns so ergangen? Die wenigen, die so etwas oder ähnliches noch nicht erlebt haben, sind wahrscheinlich diejenigen Banausen, die oft sogar Tausende von Kilometern rund um den Erdball fliegen, nur um Goethes Nachttopf zu sehen und dabei, wirklich bedauerliche Geschöpfe, nichts göttliches empfinden können. Wie schön wäre es doch, wenn jeder der sich für einen Künstler hält, ein bis zwei Leute finden könnte, die ihn ebenfalls dafür halten.

Wir fuhren also nach Murnau direkt bis vor das Münter-Haus. Ein kleines Schild klärte uns über die Öffungszeiten auf. Ich hatte Glück -es war geschlossen- beteuerte mein Bedauern darüber, atmete aber heimlich auf. Wie froh war ich, nicht irgendwelche alten Pinsel, die in längst vertrockneter Farbe steckten, besichtigen zu müssen, die es schließlich auch bei Maler Fritz zu sehen gab. Wie kann man unterscheiden, ob so ein altes Ding einmal einem Künstler gehörte oder ob der ehemalige Besitzer sein Leben lang nur Hauswände angepinselt hat?

Doch leider gab sich Claudia nicht so leicht geschlagen wie ich gehofft hatte. Nach kurzem Aufenthalt in einem Touristeninformationsbüro hatte sie herausgefunden, daß es ganz in der Nähe, nämlich im etwa zwanzig Kilometer entfernten Kochel am Kochelsee, ein Museum mit dem schönen Namen Franz-Marc-Museum gab. Als sie mir diese Neuigkeit begeistert mitteilte, lächelte ich souverän, da mir natürlich klar war, was als nächstes kommen mußte: Sie schaute mich leicht bittend an und fragte ganz unschuldig: ,,Können wir da vielleicht hinfahren`` ,,Selbstverständlich`` war meine immer noch sehr souveräne Antwort, hatte ich dieses Spiel ja schon oft genug gespielt.

In dem Museum war bemerkenswert wenig Interessantes ausgestellt, was mir am besten in Erinnerung blieb war eine alte Staffelei, die mit bunten Farbklecksen übersäht war, man konnte also sehen, daß wer auch immer wirklich dieses Ding einmal benutzt hatte, es gut in Anspruch genommen hatte. Außerdem war da noch ein Taschenmesser, oder war es eine Tabakdose?

-Egal, jedenfalls mußte sich Claudia auch noch unbedingt in das Gästebuch eintragen, in das sich angeblich auch schon Richard von Weizsäcker, unser damaliger Bundespräsident, eingetragen haben soll, dessen Unterschrift ich aber nirgendwo finden konnte.

Während Claudia sich bereits den Postkartenständer vornahm, um einige Beweisstücke für den Museumsbesuch zu erwerben, schrieb ich, nachdem ich längere Zeit sehr umständlich im Buch geblättert hatte (ich war ja auf der Suche nach W.'s Unterschrift), unter die schönen großen Buchstaben, die Claudia hineingemalt hatte, sehr verärgert: T.E. , Beruf: Der Depp, der ständig hinter C. her rennt.

Da sie bemerkt hatte, wie auffällig lange ich gebraucht hatte, fürchtete (oder hoffte?) ich, sie würde schauen wollen, was ich denn da besonderes vermerkt hatte, aber im Gegenteil, kaum hatte sie ihre Postkarten erworben, da verlor sie auch schon jegliches Interesse an dem Museum und schaute mich auffordernd an.

Säuselnd fragte ich ,,Willst Du wirklich schon gehen?`` Ja, sie wollte wirklich, also gingen wir auch. Unterwegs fragte sie mich bei jedem Namen, der in dem Büchlein, das sie sich auch noch gekauft hatte, erwähnt wurde: ,,Ist der (gelegentlich auch die) bekannt?``

Sie interessierte sich grundsätzlich nur für Künstler, die auch wirklich bekannt waren. Sonst hätte es sich womöglich nicht gelohnt. Was nützte es schon einen zu kennen, den sonst keiner kennt? Man will mitdiskutieren, nicht den Rahmen des Bekannten, des Normalen verlassen und damit irgendwo außerhalb alleine stehen. Kurz vor Geschäftsschluß, damals war das immer um 18 Uhr, fiel ihr plötzlich, wie jeden Tag, ein, was sie alles unbedingt noch einkaufen mußte.

Up: Anfang Previous: Zurück

Tobias Eitel
Sat Apr 5 17:48:11 MET DST 1997